Schraubenfabrik Tillmann

Im Jahre 1826 waren der Nagelschmiedemeister Isaak Jakob Tillmanns und seine beiden Brüder in Cronenberg bei Wuppertal selbstständige Unternehmer. Sie suchten und fanden ein neues Grundstück in der Gemeinde Lützenkirchen in der Nähe von Wiembach und Ölbach (Flur1 , Nr. 39 und 40). Zunächst betrieben die Tillmanns ab 1859 in der Pohligsmühle ihre Schraubenherstellung, dann – ein Jahr später – beantragten sie eine neue, große Fabrikanlage, der sie nach deren Fertigstellung in Erinnerung an ihren Heimatort die Bezeichnung NEU-CRONENBERG gaben. In der Bevölkerung hieß und heißt die Gegend, TILLMANNS LOCH. Da die Familie Tillmanns damals das Bild der Biesenbach nachhaltig geprägt hat, hier ein Auszug aus der Chronik der Firma Tillmanns:

Der rasche Aufstieg

Die „Herren Gebrüder Tillmanns zu Biesenbach” nahmen 1858 zunächst in der Pohligsmühle (Biesenbachermühle) die Herstellung von Holz – und Eisengewindeschrauben auf, beantragten ab er schon im November gleichen Jahres bei Bürgermeister Rossi in Schlebusch die Genehmigung zur Errichtung eines neuen, großen Werkes, einer „Holzschraubenfabrik mit oberschlägigem Wasserrad”. Die Genehmigung wurde im März 1859 erteilt und bald entstanden in rascher Folge auf dem genannten Grundstück jene, für damalige Zeit, ansehnlichen
18 Fabrikgebäude. Zu dem Anwesen gehörten außerdem ein 2 ha großer Stauweiher im Wiembachtal, umfangreiche Ländereien und zwei repräsentative Wohnhäuser, die vom Selbstbewußtsein und Wohlstand dieser bedeutenden Unternehmerfamilie zeugen. Das Unternehmen nahm einen erstaunlichen Aufschwung, wie allein schon die Beschäftigtenzahlen ausweisen: 1862 waren es noch 120, 1914 schon über 600.

Um 1870 lief in Neucronenberg mit einer Leistung von 50 PS die erste Dampfmaschine. Ihr folgte bald eine, im eigenen Betrieb gebaute Maschine, von 80 PS. Nach der Eröffnung der Eisenbahnstrecke Opladen-Wermelskirchen im Jahr 1881 machte sich die Firma Tillmanns die wichtige Verbesserung der Verkehrslage zu nutze, indem sie zwischen den Bahnhöfen Opladen und Bergisch Neukirchen einen Bahnanschluß anlegte. Nach Inbetriebnahme der Kleinbahn Opladen-Lützenkirchen (1914) übernahm diese den Güterverkehr vom Bahnhof Opladen zur Fabrik. Das Produktionsprogramm umfasste Nägel, Bolzen, Nieten, Betthaken, Holzschrauben und Mutterschrauben
aller Art. Neuartig in dieser Branche war, dass die bis dahin handgeschmiedeten „Stiefeleisen” oder „Absatzeisen ” in Neucronenberg maschinell hergestellt wurden. ,,Sonderbarerweise ist der Artikel im Konsum durch die Gummiabsätze erheblich zurückgedrängt
worden” , berichtete die Werkschronik später. Die Tillmanns’ schen Erzeugnisse wurden nach 27 Ländern exportiert. Hauptabnehmer waren die Balkanstaaten. Nimmt man die Zahl der Beschäftigten im 1900 mal fünf, kommt man auf 2270 Menschen, die direkt oder indirekt von ihrer Arbeit bei Tillmanns lebten. Das ist fast die Einwohnerzahl von Lützenkirchen (1900: rund 2600 Seelen). Die
Bedeutung dieses einzigen Industriegebietes und größten Arbeitgebers in Lützenkirchen für diese Gemeinde kann nicht deutlicher veranschaulicht werden.
Der Blütezeit der Firma in Neucronenberg lief eine noch stürmischere und erfolgreichere Entwicklung parallel, und zwar in Russland . Drei Söhne des Firmengründers wanderten ins Zarenreich aus. Richard Tillmanns gründete 1878 nach dem Vorbild des väterlichen Betriebes eine Schraubenfabrik in Kowno und baute dort 1905 ein Walzwerk, das 90 Tonne n Stahl täglich für den eigenen Bedarf lieferte.
Die Tagesproduktion belief sich auf 25.000 Gros Holzschrauben, und die Beschäftigten zahl stieg 1914 auf 3000. Ewald und Lebrecht Tillmanns eröffneten je eine Handelsgesellschaft in Petersburg und Moskau , später dann auch in Odessa, Kiew und Warschau. Bis 1918 war Tillmanns die einzige Fabrik ihrer Art in ganz Russland. Seit 1919 jedoch behinderte das Zollgebaren des 1918 wiedergegründeten Staates Litauen die Geschäfte empfindlich; aber selbst das kleiner gewordene Unternehmen floriert e glänzend.
Den Todesstoß erhielt die Firma schließlich durch den Hitler-Stalin Pakt von 1939. Die Sowjetunion besetzte im Juni 1940 Litauen und die Deutschen mussten gemäß dem Umsiedlungsvertrag das Land sofort verlassen.

Der Niedergang

Auch an Neucronenberg gingen der erste Weltkrieg und die Nachkriegsjahre nicht spurlos vorüber. Große Schwierigkeiten machten der Verkauf auf dem Balkan und die Folgen der Inflation, ohne die Firma jedoch in ihrer Substanz zu treffen. Noch im Oktober 1926 feierte man glanzvoll das hundertjährige Bestehen. Aber schon fünf Jahre später brach das Verhängnis in Gestalt der verheerenden Weltwirtschaftskrise über Deutschland herein und vernichtete auch das Werk in Neucronenberg.
„ Die Firma Tillmanns hat die Belegschaft bis auf ein en Bruchteil entlasse n müssen. Die Gefahr, dass das ganze Werk zum Stilllegen kommt, ist durchaus nicht gebannt”, schreibt der Opladener Verwaltungsbericht aus dem Jahr 1930. Und 1933 heißt es: ,,Fa. Tillmanns ist
noch geschlossen, Verhandlungen zwecks Wiedereröffnung schweben” . Aber alle Bemühungen waren vergebens . Nicht einmal
die wirtschaftliche Scheinblüte nach 1933 vermocht e das Unternehmen zu beleben. ,,Mit einer Wiederinbetriebnahme der Fa. Tillmanns wird kaum noch gerechnet werden können” (1936). Seit der Schließung der Fabrik in Neucronenberg besteht „I.J. Tillmanns” abgesehen von dem etwa zwanzigjährigem Zwischenspiel der 1946 gegründeten Tillmanns & Co. KG für Stahlfenster- und Türen nur noch als Vermögensverwaltung für den ausgedehnten Hau s- und Grundbesitz. Zuletzt befanden sich auf dem Fabrikgelände die DOR -Mineralölraffinerie Hans Rothert & CO. (seit 1934), die Firma Peter Orth & CO. (sei t 1938 ), die Walzmaschinen für Breitbandprofile herstellte und d er Schrottgroßhandel Karl Stiefvater KG (seit 1949). Unvergessen sind in Opladen die aus echter Verantwortung
gegenüber der Gemeinschaft geleisteten, großzügigen Hilfen der Familie Tillmanns für die Kirchen beider Konfessionen, Vereine, Feuerwehren, Schulen und zur Förderung der Wasserversorgung. Johann Abraham Tillmanns war jahrelang Mitglied des Lützenkirchener
Gemeinderates und von 1874 bis 1880 sogar Gemeindevorsteher.
(Literatur: Stadtchronik v. Rolf Müller)

Fabrikschule in Neucronenberg

Einerseits handelt es sich hier zweifellos um ein düsteres Kapitel der Wirtschaftsgeschichte, andererseits aber auch um den bemerkenswerten Versuch des Unternehmens, den geplagten Kindern, die die Eltern in die Fabrik schickten, um einen bescheidenen Beitrag zum ohnehin kargen Lebensunterhalt der Familie beisteuern zu lassen, wenigsten ein Minimum an Unterricht zu bieten.
Seit 1872 erteilte Lehrer Höffgen in einem Raum des nicht mehr erhaltenen schieferverkleideten Fachwerkhauses auf dem Fabrikgelände etwa 25 zwölfjährigen und älteren Kindern täglich drei Stunden Unterricht. Die Schule unterstand der Aufsicht des Lokalschulinspektors von Lützenkirchen. ,,Dass Lehrer Höffgen mehr Mitleid mit den Kindern hatte”, schreibt Theodor Gierath, beweist folgendes:
Ein Junge legte müde seinen Kopf auf die Bank und schlief bald so fest, daß sein Nachbar ihn nicht z u wecken vermochte.
Der Lehrer sagte: Ach, laß ihn schlafen, du siehst doch , wie müde der arme Kerl ist. Das hätte er besser nicht gesagt. Am nächsten Tag waren es drei und ehe die Woche vorbei war, lag bald nach Beginn des Unterrichts das ganze Völkchen in süßer Ruh. Der gute Lehrer zündete sich eine lange Pfeife an, stellte sich ans Fenster und ließ seinen Gedanken freien Lauf.
Auf die Dauer war es wohl unmöglich, Kinder zur gleichen Zeit in der Fabrik arbeiten und unterrichten zu lassen. Daher wurde 1879 vereinbart, die Fabrikschule zu schließen und die Kinder morgens in die für sie zuständigen öffentlichen Schulen zu schicken und
ihnen die Fabrikarbeit erst nachmittags zu gestatten.

Aus: Th. Gierath Was die Alten erzählen, Festschrift zum 100 jährigem Bestehen der Kath.Schule Quettingen (aus Stadtchronik Opladen v. Rolf Müller)